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Viel Wissen, zu wenig Wirkung

Über 60 Prozent der Hochschulmanager halten wissenschaftliche Erkenntnisse für relevant, doch viele wissen nicht, wo sie sie finden können. Eine neue Studie zeigt, woran der Transfer hapert.

Illustration KI-erstellt.

DIE WISSENSCHAFTS- UND HOCHSCHULFORSCHUNG produziert fleißig Wissen, doch im Hochschulmanagement kommt davon zu wenig an. Denn die Kommunikationskanäle, die von "WiHo"-Forschern zur Verbreitung ihrer Forschungsarbeiten eingesetzt werden, sind oft andere, als die, die Hochschulmanager in ihrem Alltag nutzen.

 

Das ist das Fazit einer Teilstudie im Rahmen des Forschungsprojekts "TransForM", die am Montag veröffentlicht wird. Gefördert vom bisherigen BMBF, haben Forschende des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) die Antworten von über 1.400 Angehörigen des Hochschulmanagements aus einer bundesweiten  Online-Befragung ausgewertet. Die meisten Befragten entstammten der mittleren Führungsebene, aber auch 178 Vizepräsidentinnen und Prorektoren waren darunter.

 

Die Ergebnisse zeigen: Der Wille zur evidenzbasierten Steuerung ist da – allein, der Transfer hakt. So halten 63,1 Prozent der befragten Hochschulmanager wissenschaftliche Erkenntnisse für ihre Arbeit für "sehr" oder "überwiegend wichtig". Doch mehr als die Hälfte der Befragten gibt gleichzeitig an, WiHo-Forschungsergebnisse "seltener als einmal im Monat" (39,9 Prozent) oder sogar niemals (11,2 Prozent) zu nutzen.

 

Dabei gilt: Je höher die Hierarchie, desto relevanter werden die Forschungsergebnisse für die eigene Arbeit eingeschätzt, und desto häufiger erfolgt auch tatsächlich der Griff zur Forschung. Während 70,1 Prozent der Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten mindestens einmal im Monat Erkenntnisse der WiHo-Forschung nutzen, tun dies auf der Ebene des mittleren Hochschulmanagements nur 36,8 Prozent. Die Intensität der Nutzung ist auch abhängig vom Arbeitsfeld: Der Anteil der Hochschulmanager aus dem Bereich Studium und Lehre, die nie Erkenntnisse rezipieren, liegt mit 15,1 Prozent deutlich über den entsprechenden Anteilen von 7,3 Prozent der Forschungsmanager und 9,4 Prozent der Transfermanager.

 

Zeitmangel ist ein Grund, aber nicht der wichtigste

 

Die große Diskrepanz zwischen der empfundenen Bedeutung von WiHo-Forschung und ihrer tatsächlichen Nutzung erklärten die meisten Hochschulmanager mit Zeitmangel, sagt CHE-Studienleiterin Sigrun Nickel. So sagen 49,9 Prozent der befragten Hochschulmanager, dass ihnen generell die Zeit für die Lektüre fehle. "Doch passen auch die Transferwege und die Forschungsthemen oft nicht."

 

Stichwort Transferwege: 52,3 Prozent der Befragten antworteten, sie wüssten nicht, wo sie neue Erkenntnisse der WiHo-Forschung finden könnten ("Die Transferkanäle sind mir teilweise oder gänzlich unbekannt"). Laut der CHE-Umfrage bevorzugen sie Medienformen, die kürzere und verständlich aufbereitete Informationen enthielten. Hierzu zählten praxisorientierte Fachzeitschriften, Kurzpublikationen, Newsletter und Onlineportale.

"Dagegen publiziert die Wissenschafts- und Hochschulforschung ihre Fülle an Erkenntnissen vorzugsweise in wissenschaftlichen Journals und Büchern, die sich vor allem an die Scientific Community richten", sagt Sigrun Nickel. "Das Ziel ist, sich innerhalb der eigenen Disziplin einen Namen zu machen." Das sei legitim, da die Karriereanreize so gesetzt seien, aber wer das Hochschulmanagement erreichen wolle, müsse ganz andere Kanäle nutzen. "LinkedIn? Bluesky? X? Da passiert wenig."

 

"Wer soll das eigentlich lesen?"

 

Unter Wissenschaftskommunikation würde in vielen Fällen lediglich verstanden, die Originalarbeit ohne weitere Erläuterungen ins Netz zu stellen – "oft auch kostenpflichtig". Zu wenige Forschende fragten sich: "Wer soll das eigentlich lesen? Für welche Zielgruppe ist das relevant?" So bleibe der Transfer aus der WiHo-Forschung heraus oft "angebotsorientiert und verfehlt häufig die, die von den Erkenntnissen profitieren könnten".

 

Unterdessen können erstaunlich viele Hochschulmanager bei der Frage nach ihnen namentlich bekannten Einrichtungen der WiHo-Forschung kaum welche nennen. Die Heterogenität der Forschungslandschaft erschwere die Orientierung, befinden die CHE-Autorinnen.

 

Stichwort Forschungsthemen: Die Studie beschreibt hier unterschiedliche thematische Interessen der WiHo-Forschung und der Hochschulmanager. Letztere wünschen sich vor allem mehr Erkenntnisse zu Hochschulverwaltung und Hochschulmanagement, während die WiHo-Forschung laut CHE bislang selten das Hochschulmanagement als expliziten Forschungsgegenstand oder Zielgruppe gewählt hat.

 

Ebenso stark nachgefragt vom Hochschulmanagement: mehr Forschungsergebnisse zur Studiengangsentwicklung, zum Umgang mit Drittmitteln – und zur Digitalisierung, was auf den ersten Blick paradox erscheint, weil der Wunsch der Praktiker hier auf eine Forschung trifft, die bereits besonders viel dazu produziert.

 

Bewegen Forschung und Praxis schlicht andere Problemstellungen, wenn es um die Digitalisierung geht? Die befragten Hochschulmanager wollen jedenfalls mehr erfahren über die Nutzung von und den Umgang mit Künstlicher Intelligenz, Future Skills sowie die Digitalisierung des Hochschulmanagements und der Lehre. Gleichzeitig geben nur die wenigsten von ihnen an, von der WiHo-Forschung jemals in deren Themenfindung miteinbezogen worden zu sein.

 

Transfer über Köpfe statt über Texte

 

Guido Bünstorf ist Vorstandssprecher des INCHER-Hochschulforschungsinstituts an der Universität Kassel. "Ich weiß gar nicht, ob ich die Studienergebnisse so dramatisch finde", sagt er. Die WiHo-Forschung sei erstmal ein Forschungsfeld wie alle anderen auch, in anderen Disziplinen wie der Betriebswirtschaft würde der Gap zur Praxis sicherlich ähnlich empfunden werden. "Das ist normal. Das Ziel auch von WiHo-Forschung ist in erster Linie, theoriegeleitet Prozesse zu verstehen und Wissen zu generieren. Je solider wir forschen, desto eher lässt sich daraus etwas für die Praxis ableiten."

 

Die Vorstellung, dass die Wissensweitergabe vor allem in geschriebener Form stattfinde, sei zudem verkürzt. "Wir beraten als Wissenschaftler Forschungseinrichtungen und Ministerien, wir machen praxisorientierte Veranstaltungen, und viele unserer Promovierten landen irgendwann selbst im Hochschulmanagement. Man sollte den Transfer über Köpfe also nicht zu gering schätzen."

 

Mehr personelle Ressourcen für Wissenschaftskommunikation in der WiHo-Forschung könnten helfen, sagt Sigrun Nickel, "besetzt mit Leuten, die in der Lage sind, die Denkweise von Forschung mit den Erwartungen der Praxis zu kombinieren". Viele Hochschulmanager wünschten sich zum Beispiel kuratierte Newsletter, in denen mit Teaser und Kurzzusammenfassung auf neue Studien hingewiesen werde. Hilfreich wäre allerdings auch, fügt sie hinzu, wenn Forschende hier und da selbst zum Handy griffen und sagten: "Ich mache mal ein Foto und setze einen Post in den sozialen Medien ab." Mit wenig Zeit könne man so schnell eine Menge Aufmerksamkeit für die eigene Forschungsarbeit generieren.

 

Nein, er leide eigentlich nicht unter einem fehlenden Zugang zu Erkenntnissen aus der WiHo-Forschung, sagt Stephan Jolie, Vizepräsident für Studium und Lehre an der Universität Mainz. Seine Verwaltung sei da nah am Puls der Wissenschaft und werte für ihn die relevanten Studien aus. Allerdings gehöre zur Wahrheit, dass in seinem Job Anderes oft wichtiger sei: "Wenn ich einen Studiengang reformieren will, überzeuge ich die drei zuständigen Silberrücken nicht, indem ich mit den neuesten Forschungsergebnissen winke. Da braucht es politisches Geschick und Diplomatie."



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